Tourismus

Was kann die neue Kulinarik-Strategie?

Top-Artikel
26.06.2024

Mit einem einmaligen Schulterschluss der Tourismusbranche soll Österreich künftig als hochwertige und nachhaltige Kulinarik-Destination weltweit präsentiert werden. Das sind die Details.
Kulinarik Österreich

Anfang Juni versammelte sich eine illustre Runde aus Top-TouristikerInnen, Kochstars und ebensolchen WinzerInnen in der Gastwirtschaft Floh in Langenlebarn. Grund der Zusammenkunft war die Präsentation der neuen Kulinarik-Positionierung Österreichs durch Astrid Steharnig-Staudinger, die seit gut einem Jahr als Geschäftsführerin der Österreich Werbung gleichermaßen zielstrebig wie zielsicher agiert. 

Mit Charme und eisernem Willen hatte sie schon im Vorjahr die Landestourismusorganisationen (LTOs) zu einer Allianz verschworen, die letztlich gemeinsam die erfolgreiche Rückholung des Guide Michelin für ganz Österreich ermöglicht hatte.Während Vorvorgängerin Petra Stolba die Kulinarik nicht im Markenkern Österreichs verortete, richtet Steharnig-Staudinger das Koordinatensystem der Marke Österreich neu aus. Die Kulinarik, so ihre Botschaft, spiele dabei eine wesentliche Rolle. „Dieses Thema steht für sehr viele positive Attribute Österreichs. Nicht nur für exzellente Lebensmittel, Spitzenküche und ehrliche Gastfreundschaft, sondern auch für das saubere Wasser, die intakte Umwelt und gepflegte Landschaften. Für uns ist das selbstverständlich, für andere überraschend!“

So wolle man auch neue Gäste ansprechen, die Österreich bislang nicht auf der Kulinarik-Weltkarte gefunden haben. „Österreich hat sich in den letzten Jahren kulinarisch fantastisch entwickelt“, so die ÖW-Geschäftsführerin: „Diese Qualität und Vielfalt werden wir nun gemeinsam mit den Landestourismusorganisationen (LTOs) global auf die Bühne stellen!“

Kulinarik Österreich
Ob pur oder veredelt - Österreichs Vielfalt an Lebensmitteln und Kochkunst ist einzigartig.

Originale statt Herkunft

teharnig-Staudingers Ankündigung, Österreich als Top-Adresse für Genießer und Gourmets zu etablieren, hat nun erstmals in der Geschichte des österreichischen Tourismus nicht den schalen Beigeschmack eines Lippenbekenntnisses, so wie unter Tourismusministerin Köstinger. Diese hatte die Steigerung der Zahl der Betriebe mit „AMA Gastrosiegel“ zur Chefsache erklärt. Erfreulich aus der Sicht der Landwirtschaft. Die Landestourismusorganisationen waren darüber alles anders als glücklich. Sie hatten ihre kulinarischen Positionierungen schon gefunden: von der „Die weite Land-Küche“ (NÖ) bis zur „Alpinen Küche“ (Salzburg) oder dem „Kulinarium Steiermark“.
Für Steharnig-Staudinger und ihr Team galt es nun, die Quadratur des Kreises zu schaffen. Wie formuliert man eine stimmige und einfache Positionierungslogik, die die enorme kulinarische Vielfalt Österreichs unter einen Hut kriegt und sich zudem nicht mit den Programmen der Bundesländer schlägt?

Keep it short and simple

Hundert Experteninterviews und zahlreiche systemisch geleitete „World Cafes“ später kann man konstatieren, dass die Übung gelungen ist. Das Positionierungskonzept der ÖW und LTOs setzt auf die Basisfaktoren „Topografie“ und „Originale“, die Österreichs kulinarische Identität definieren. Vereinfacht gesagt: Unsere vielseitige Landschaft bringt eine Unzahl exzellenter Terroir-Produkte hervor, die von Charakterköpfen im ganzen Land meisterhaft zu festen oder flüssigen Aggregatzuständen veredelt werden. Zudem haben sich auch einzigartige Gerichte, Gastfreundschaft, Tischkultur und Traditionen entwickelt, die Gäste eben nur im gelobten Land „original“ erleben können. Zwölf sogenannte „Profilierungsfaktoren“ wie etwa Produktqualität, Wein oder Innovationskraft verstehen sich als wichtigste Ausprägungen der kulinarischen Stärken Österreichs. Weiters sollen sie auch als Orientierungshilfe für die Regional- und Ortsverbände bei der lokalen Umsetzung dienen.

Im Text der Positionierung werden die AMA-Herkunftszertifizierung oder die AMA-Genussregionen, bislang wichtige Keywords in jedem Strategiepapier, mit keinem Wort erwähnt. Michael Feiertag, neuer Geschäftsführer der Steiermark Tourismus und Sprecher der LTOs im Jahr 2025, erklärt das so: „Mit dem Kulinarium Steiermark haben wir eine sehr starke Kulinarik-Marke aufgebaut. Da brauchen wir keine Zweite zur Ergänzung.“ Außerdem sei die Marke bestens angesehen. Ein schelmischer Hinweis auf das durch mehrere Tierhaltungsskandale in AMA-geprüften Betrieben arg ramponierte Vertrauen in die Prüfqualität der Agrarmarketing Austria. Das Risiko, in einem AMA-geprüften Gasthaus Hirsch aus Neuseeland, Schweinefleisch aus Deutschland oder Kartoffeln aus der Slowakei zu finden, wollte wohl niemand eingehen. Vielen geht eine freiwillige AMA-Zertifizierung ohnehin nicht weit genug. Hannes Royer, Gründer von Land schafft Leben, fordert seit Jahren die „verpflichtende Herkunfts- und Haltungskennzeichnung bis zum einzelnen Teller“. Die EU sieht das ähnlich. 

Originale stehen für Österreich: Josef Floh, Markus Leutgeb, Elisabeth Grabmer, Florian Döllerer.
Originale stehen für Österreich: Josef Floh, Markus Leutgeb, Elisabeth Grabmer, Florian Döllerer.

Charme- und Contentoffensive

Um den Qualitätsanspruch der heimischen Kulinarik glaubwürdig darzustellen, will die Österreich Werbung in der Außendarstellung des Landes jene großen Töchter und Söhne auf die Bühne holen, die de facto schon seit vielen Jahren als ehrenamtliche BotschafterInnen der heimischen Produkt- und Weinkultur, Kochkunst und Gastfreundschaft agieren – einige waren bei der Präsentation in Tulln mit dabei: Gastgeber Josef Floh, Köche wie Philip Rachinger, Lukas Nagl, Richard Rauch, Winzer wie Armin Tement, Winzerinnen wie Marion Ebner-Ebenauer oder Produzenten wie Hans Reisetbauer. Hier hat Österreich tatsächlich ein beinahe unerschöpfliches Reservoir an Originalen, mit dem Potential, das Land kulinarisch zu repräsentieren.

Aktuell wird bereits Content für die ersten Kampagnen erstellt. So produziert die Österreich Werbung im Auftrag der LTOs Videos, Bildmaterial und Texte für den „Culinary Showroom“, aus dem sich die Tourismusbranche künftig bedienen darf. Mit diesem Content soll die Branche den Appetit auf Österreich anregen. Höchst erfreut zeigt sich Michael Feiertag generell über die enge Zusammenarbeit mit der Österreich Werbung. In der Vergangenheit war dieses Arbeitsverhältnis oft problematisch. „Das läuft wirklich großartig und ist für den Tourismusstandort optimal“, streut Feiertag Rosen in Richtung des neuen Führungsteams. Er sieht aber auch den Generationswechsel in den manchen Chefsesseln der LTs als Ursache für den stimmungsmäßigen Klimawandel in Österreichs Tourismus an. 

Astrid Steharnig-Staudinger präsentiert das Positionierungskonzept beim „Floh“ in Langenlebarn.
Astrid Steharnig-Staudinger präsentiert das Positionierungskonzept beim „Floh“ in Langenlebarn.

Wien is(s)t anders

Um so verblüffender ist es, dass sich Wien, Österreichs größte Tourismusgemeinde, in der Kulinarik-Zusammenarbeit nobel zurückhält. Wie man so hört, wurde in der Diskussion, wer denn nun für die Rückkehr des Michelin zahlen müsse, doch einiges an Porzellan zerschlagen. Wien, das ja bislang für den Guide Michelin „Main Cities of Europe“ kostenlos getestet wurde, leistet hier als einziges Bundesland keinen Beitrag. Auch der Hinweis, dass dieser Guide bald eingestellt werde, konnte die Wiener Kooperationsbereitschaft nicht stimulieren.

Man stehe nach wie vor in Verhandlungen, so Steharnig-Staudinger und Feiertag unisono darum bemüht, die Wogen zu glätten. Die Kampagne der ÖW und der acht übrigen Bundesländer nehme aber schon Fahrt auf. Da wird Kollege Kettner einmal entscheiden müssen, ob Wien als Teil der Kulinarik-Destination Österreich wahrgenommen werden will. „Die Hand in Richtung Wien bleibt auf jeden Fall ausgestreckt“, so Michael Feiertag.

Inhaltlich scheint die Kluft nicht groß zu sein. Wien Tourismus kündigte eben die Fortführung der Youtube-Serie „Hungry for more“ an. Lukas Mraz, Küchenchef im 2-Sterne Restaurant „Mraz“ ist ein Original, wie es im Buche steht. In diesen Videos geht er auf kulinarische Erkundungstour durch das kosmopolitische Wien jenseits der Schnitzel- und Mehlspeisenseligkeit. Besser hätte das die ÖW auch nicht erfinden können. 

Kulinarik Österreich
Landschaft, die man schmecken kann: Österreichs Originale und seine Topografie sind die zwei Positionierungsfaktoren, die uns von anderen Destinationen abheben.

Jenseits des Schnitzelhorizonts

Auf touristischen Fernmärkten hat Astrid Steharnig-Staudinger die Kooperationsangel erfolgreich nach der Österreichischen Weinmarketing ausgeworfen. Die ÖWM ist auf den wichtigen Quellmärkten Japan, Korea und USA seit vielen Jahren bestens vernetzt und wirbt dort mit großem Erfolg für Veltliner, Blaufränkisch und Co. Gemeinsam will man künftig Österreichs Küche und Kulinarik umfassender kommunizieren. Der Guide Michelin Österreich wird dazu ab Jänner 2025 die entsprechende „Sternemunition“ liefern.

Doch auch in der Nachbarschaft rührt die ÖW kräftig um. So firmierte Österreich heuer Anfang Juni als das offizielle Gastland des renommierten Festivals „Food Zürich“. Fünfzehn Veranstaltungen, vom Knödel-Workshop über Naturwein-Tastings bis zu Diners, machte die Vielfalt und Qualität der Kulinarikgroßmacht Österreich erlebbar. Im Rahmen der Food Zürich lud auch das Wein- und Gourmetmagazin Falstaff zu einem exklusiven Diner mit Heinz Reitbauer aus dem Restaurant Steirereck als Gastkoch. Reitbauer ist wohl der bekannteste und erfolgreichste Patron und Koch Österreichs. Er hat schon so manche eher politisch motivierte Kulinarik-Initiative in Österreich erlebt. „Zum ersten Mal habe ich jetzt das wirklich gute Gefühl, dass die Qualität der österreichischen Küche und Kulinarik im Mittelpunkt steht. Unser Land hat im internationalen Vergleich da wahnsinnig viel zu bieten. Wenn das nun mit einer durchdachten Kommunikationsstrategie weltweit sichtbar wird, wäre das ideal“. Sentimentaler Nachsatz des 2-Sterne-Kochs: „Wo würden wir heute auf der kulinarischen Weltkarte stehen, hätte es eine solche Initiative der Österreich Werbung schon vor zehn Jahren gegeben?“

Zwölf Profilierungsfaktoren für Österreichs Kulinarik

1.    Produktqualität: Eine Vielzahl bekannter Produkte und viele mehr, die bei uns bisher nicht im Vordergrund standen.

2.    Wasser, Luft und Salz:  Die Qualität von Wasser, Luft und Salz – der Bausteine des Lebens – schmecke ich überall, vom Fisch bis zum Brot

3.    Wein: Wichtigstes kulinarisches Exportprodukt, spiegelt Herkunft, formt Land, Reiseorte – und hat weltweit Momentum.

4.    Nähe und Verbindung: Von Hotspot zu Hotspot zu reisen ist ein Leichtes; Produkte können nahe bezogen werden; emotionale Verbindungen

5.    Jahreszeiten: Österreichs Kulinarik folgt den Jahreszeiten – die Nachfrage von Köch:innen und Konsument:innen nach Saisonalität steigt.

6.    Nachhaltigkeit und Bewusstsein:  Die Zukunft der Ernährung liegt in der Verbindung von Genuss und Gesundheit.

7.    Genusserlebnis und Gastfreundschaft: Ein kulinarisches Zusammenspiel von Ambiente bis Zutaten, das den Wert eines kulturellen Erlebnisses hat.

8.    Traditionen, Generationen, int. Einflüsse: Unsere Kulinarik-Geschichte verdient es, weitererzählt und neu belebt zu werden.

9.    Mut und Innovation: Österreichs unterrepräsentierte avantgardistische Seite mit mutigem Pioniergeist, Zeitgeist und Experimenten.

10.    Produzent:innen und Bio-Pionier:innen: Eine lange Historie und eine starke Gegenwart von Gestalter:innen, die das Richtige tun wollen.

11.    Köch:innen und Veredler:innen: Ausgebildet, ausgezeichnet, Ausnahmetalente: Austria’s Köch:innen

12.    Basisfaktoren Österreichs: Ein beliebtes und sicheres Land mit hoher Lebens- und Reisequalität.