Fluchtbranche oder Traumjob?
Georg Michenthaler vom Institut für Empirische Sozialforschung, der die Studie durchgeführt hat und dafür von Ende 2012 bis Mitte 2016 gezählte 241 Beschäftigte in Wien befragt hat (in ganz Österreich waren es 1231) präsentierte auf den ersten Blick durchaus alarmierende Zahlen: Während in den Bundesländern die Arbeitszufriedenheit im Tourismus in den letzten Jahren stabil geblieben ist, sank sie in Wien deutlich. Einen Grund sieht Michenthaler in der Tatsache, dass anders als im Rest von Österreich die Beschäftigungszahlen in Wien mit den steigenden Nächtigungen und Ankünften nicht mithalten.
Verdichtete Arbeit
Berend Tusch, Vorsitzender des Fachbereichs Tourismus in der Gewerkschaft vida, nennt das Ergebnis „Arbeitsverdichtung“: Immer mehr Wiener Arbeitnehmer im Tourismus klagen über Stress, es sind mehr als doppelt so viele wie in den Bundesländern. Und das obwohl in Wien überdurchschnittlich viele Männer und Leute unter 30 überdurchschnittlich viel in Teilzeit arbeiten. „Innovationsstress“ sei das nicht, bemerkte Michenthaler trocken an. Es sind ganz einfach Zusatzbelastungen, wenn die Rezeptionistin auch gleich die Bar mitmachen muss, wenn sich Dienstpläne ständig ändern, wenn Ruhezeiten situationsbedingt ausfallen, Wochenendarbeit anfalle, Spätschichten usw. Dazu komme noch der ständige Druck, von den Gästen eine schlechte Bewertung zu erhalten.
Unterschied Stadt - Land
Das alles führt statistisch dazu, dass in Wien 60% der Arbeitnehmer in Gastronomie und Hotellerie den Job wechseln wollen – während am Land genauso viele angeben, ihren Job behalten zu wollen. Die Unterschiede zwischen Land und Stadt, speziell Wien, begründete Tusch mit unterschiedlichen Strukturen und Eigentumsverhältnissen. Ländliche Familienbetriebe würden besser auf das Betriebsklima achten, weil sich Negatives am Land schneller herumspreche und man dann noch schwerer an Mitarbeiter herankomme. Das sei in der Stadt anders. Hier würden auch viel mehr Menschen nebenher in der Gastronomie arbeiten, insbesondere Studierende.
Klar, dass die aus ihrem Studijob nicht unbedingt einen Dauerjob machen wollen. Das macht sich statistisch natürlich bemerkbar. Obwohl es durchaus vorkommen soll, dass eine studentische Kellnerin sich als Gastronomin selbstständig macht, statt ihr Volkskundestudium zu beenden…
Löhne zu niedrig
AK-Präsident Rudi Kaske beklagte, dass sich seit vielen Jahren nichts an der Situation im Tourismus verbessere. Er machte das auch und vor allem an der schlechten Bezahlung fest. Wenn nur 1% der Befragten angebe, sehr gut von ihrem Job leben zu können und 78 % angeben, es reiche gerade bzw. nicht mehr, dann könne man beim besten Willen nicht von einen „Traumjob Tourismus“ sprechen, sondern von einer „Fluchtbranche“. Er spricht von Einkommen von 1400 Euro brutto, da würden nicht viel mehr als 1000 Euro übrig bleiben.
Ein Blick in die ÖGZ-Jobbörse würde ihn sofort eines Besseren belehren: Hier bietet kein Arbeitgeber 1400 Euro brutto, auch nicht für eine Aushilfskraft an der Schank, sondern alle mehr plus Bereitschaft zur Überbezahlung. Schließlich sind Arbeitnehmer im Tourismus momentan in einer guten Position, vor allem außerhalb Wiens: Sie werden händeringend gesucht. Ein Dolm, wer da nicht was herausholen kann.
Kaske verweist auf andere Branchen wie Handel oder Bau, die vor Jahren vor ähnlichen Herausforderungen standen und es heute besser machten. Sie zahlten mehr und hätten auch ihre Ausbildung verbessert, zum Beispiel mit der Kombination von Lehre und Matura. Er lud alle Beteiligten zu einem „Tourismus-Gipfel“ ein, wann und wo der stattfinden soll, ließ er allerdings offen.
Der unsichtbare Dritte
Die Reaktionen von Arbeitgeberseite blieben nicht aus – schließlich war die Wirtschaftskammer und die ÖHV bei der PK zugegen: Peter Dobcak, Obmann der Fachgruppe Gastronomie in Wien, verwies auf den „unsichtbaren Dritten“ im Raum: Den Gesetzgeber, der in den letzten Jahren die Rahmenbedingungen im Tourismus immer weiter verschlechtert habe. Es sei auch einfach kein Geld in den Betrieben da, um die Leute deutlich besser bezahlen zu können. Das ginge nur durch Preissteigerungen, die wolle aber auch niemand.
Michaela Reitterer, Präsidentin der ÖHV, diskutierte gar nicht erst mit den Gewerkschaftlern, sondern diktierte den anwesenden Journalisten einige konkrete Forderungen in die Notizbücher: Es müsse gerade für Menschen im Tourismus auch am Wochenende die Möglichkeit geben, ihre Kinder im Kindergarten abgeben zu können. Zuschläge sollten zu 100% den Mitarbeitern zu Gute kommen. Und die Gewerkschaften würden mal wieder die Branche schlecht reden. Daraufhin fiel die Bemerkung einer Kollegin, dass die aktuelle Kampagne mit zornigen Gastwirten in Wien auch nicht gerade Lust auf die Branche mache…
Und zur Belastung für Arbeitnehmer durch sich ständig ändernde Dienstpläne, sagte die engagierte Hotelierin zur ÖGZ: Das ließe sich kaum vermeiden, Mitarbeiter werden nun mal krank, Gäste seien unberechenbar, da müsse die eine oder der andere eben kurzfristig einspringen. Und Wochenendarbeit sei längst nicht nur im Tourismus üblich. Sie wird nur von den Sozialpartnern zu wenig unterstützt – siehe Kindergärten.
Peter Dobcak und die ÖHV zweifeln die Aussagekraft des der Umfrage zugrunde liegenden Samples an: In Wien arbeiten im Tourismus rund 90.000 Beschäftigte. Davon seien 241 Befragte kümmerliche 0,27 Prozent. Die könnten nicht wirklich repräsentative, allgemeingültige Ergebnisse liefern.
Zeit für konstruktive Schritte
In einer Aussendung fordert die Obfrau der Tourismus- und Freizeitwirtschaft in Österreich, Petra Nocker-Schwarzenbacher, die Gewerkschaften sollten endlich konstruktive Schritte setzen, statt „Ratschläge über die Medien zu erteilen“. Sie verweist darauf, dass die Beschäftigungsverhältnisse aktuell im Tourismus erfreulich steigen: 2.8 % plus im August gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Sie fordert unter anderem erneut eine Arbeitszeitflexibilisierung – bekanntlich keine schöne Musik in Gewerkschafterohren.
Resümee
Man muss leider feststellen: Es fielen nicht viele neue Argumente. Das Erschreckende für den Beobachter ist: Die reden nicht einmal (mehr) miteinander. Die Gewerkschafter redeten mit der Presse, die Hoteliers und Gastronomen redeten mit der Presse. Aber miteinander redeten sie nicht. Sie stritten nicht einmal. Alle Argumente tausendfach ausgetauscht, keiner bewegt sich einen Millimeter. Wie in einem Grabenkrieg. Sieht so die Sozialpartnerschaft 2016 aus? Da kann man sich irgendwelche „Gipfel“ gleich sparen. Leider. Denn beide Seiten haben durchaus Argumente, die für sich sprechen. Wenn man sie kombinieren könnte, würde vielleicht etwas Konstruktives dabei herauskommen. Das allen nützte: Arbeitnehmern, Arbeitgebern und letztlich auch dem Gast. Denn da hat Kaske absolut recht: Der Gast spürt ganz genau, welches Arbeitsklima in einem Betrieb herrscht. Und sucht sich auch danach aus, wo er gerne einkehrt oder übernachtet.